Meistergeige auf Irrweg

Eine wahre Geschichte über Erbe und Familienintrigen.

Die Märe sagt, daß eine Geige, um ihren guten Ton zu erhalten, bespielt werden müsse. Daß das nicht stimmen muß, zeigt die folgende nicht unbedingt amüsante Geschichte. Sie mag in manchen Details geglättet sein, aber sie ist nie unwahr!

Es war einmal ein Lehrer, der hatte eine Tochter und einen Sohn. Da die Tochter sehr musikalisch war und der Vater selbst gerne und gut Geige spielte, beschloß er, für seine Tochter bei einem berühmten Geigenbauer eine Meistergeige bauen zu lassen. Seine Wahl fiel auf Eugen Wahl. Viele Jahre musizierten sie nun glücklich miteinander, bis der Vater das zeitliche segnete. Nun war es mit dem Musizieren zu Ende.

Die Geigen kamen auf den alten Speicher des Sommerhauses, wo sie in Sommerhitze, Trockenheit, Winterkälte und Feuchtigkeit viele Jahre überdauern mußten. Die Tochter heiratete und bekam acht Kinder. Eines der Kinder bekam von einer alten Tante eine alte Schulgeige und lernte darauf Geige zu spielen. Nach vielen Jahren, als auch die alte Mutter der achtfachen jungen Mutter das zeitliche gesegnet hatte, rückte der Bruder, der im alten Sommerhaus wohnte und inzwischen selbst mit sechs Kindern versehen war, von denen aber keines Geige spielen wollte, endlich die beiden Geigen aus dem alten Speicher an seine Schwester wieder heraus.

Nun konnte seine Schwester dem ihrer acht Kinder, das als einziges Geige gelernt hatte, ihre Meistergeige weiter geben. Für dieses Kind, ein Junge, begann mit dieser exzellenten Meistergeige eine neue Zeit des Musizierens. Er spielte im Schulorchester, er musizierte mit seinen Klavier spielenden Schwestern, er spielte in einem Trio und er spielte erfolgreich viele Jahre in einem Quartett zusammen mit seinem Geigenlehrer. Aber sein Geigenlehrer und erster Geiger im Quartett verunglückte tödlich. Nun war es mit dem Musizieren vorerst zu Ende und die Geige blieb wieder jahrelang unbespielt.

Der Geigenspieler wurde Ingenieur und spielte nun Konzertgitarre. Seine Mutter glaubte, die Geige müsse bespielt werden, um ihren guten Ton (den sie ja über viele Speicherjahre gehalten hatte) nicht zu verlieren. Sie gab daher die Geige als persönlichen Verleih dem Ehemann der Klavierlehrerin ihrer Töchter, der auch Geige spielte und sagte zu ihrem Ingenieursohn, Du kannst Dir Deine Geige dort jederzeit wieder holen, wenn Du sie wieder spielen willst. Der Verleih der Geige an den Ehemann der Klavierlehrerin war also keineswegs "auf Lebenszeit" wie die Klavierlehrerin und ihr Sohn später behaupteten.

Viele Jahre später, die Eltern waren verstorben, der alternde Ehemann der Klavierlehrerin spielte nicht mehr auf dieser Geige, da wollte der Ingenieur seine Geige für seine musikalisch begabte Tochter wieder haben. Die Klavierlehrerin hatte sie aber ihrem Sohn weiter gegeben und verweigerte die Herausgabe der guten Meistergeige. Die Tochter des Ingenieurs könne ja auf der alten Schulgeige spielen. Die gierige Klavierlehrerin wollte nämlich die Meistergeige geschenkt bekommen und wandte sich um Hilfe an ihre ehemaligen eifrigen Schülerinnen. Um die naiven Schülerinnen zu motivieren, erzählte die üble Klavierlehrerin, sie habe ihr Haus verbarrikadieren müssen, da sie schreckliche Angst habe vor einem Einbruch durch den rabiaten Ingenieur. Später behauptete sie dann sogar, die Geschwister wollten die Geige ihrem Mann schenken.

Der jüngste Bruder des Ingenieurs, der beamteter Tierarzt geworden war, Störche beringte aber kein Instrument spielte, fühlte sich aufgerufen und schwang sich auf zum Richter über seinen Ingenieursbruder als edler Ritter der vermeintlichen Gerechtigkeit. Denn der neidische Tierarzt und die drei Klavier spielenden Schwestern gönnten dem ungeliebten Ingenieursbruder die Geige nicht. Sie fanden, sie "stehe ihm nicht zu", obwohl die Schwestern selbst mit ihm, seiner Geige und ihrem Klavier musiziert hatten und es in der Familie keinen weiteren Geigenspieler gab.

Unter der Führung des perfiden Tierarztes erklärten sie, entgegen der eindeutigen schriftlichen Meinung der anderen vier Geschwister und obwohl die Erbe Verteilung offiziell und friedlich schon seit Jahren abgeschlossen und die Erbengemeinschaft aufgelöst worden war, einfach die Geige neu zum allgemeinen Erbe und wollten sie verlosen oder zwangsversteigern, um sie letztendlich ihrer verehrten Klavierlehrerin wieder zuschustern zu können. Der schlaue Tierarzt organisierte also einen "Nachlaßverwalter" aus einem Auktionshaus, das Haushalte auflöste und Nachlässe versteigerte. Und das, obwohl die Erbengemeinschaft vorher einstimmig beschlossen hatte, grundsätzlich keinen "Nachlaßverwalter" oder Schätzer einzusetzen.

Dann kam der sich selbst zum Richter ernannte Tierarzt "nach juristischer Beratung" in unheiliger Allianz mit der skrupellosen Klavierlehrerin überein, sie solle die Geige in dieses Auktionshaus zu dem von ihm ernannten, angeblich "vereinbarten" Nachlaßverwalter bringen, was diese dann auch tat. Ihrem Sohn erklärte die raffinierte Klavierlehrerin, die Geige käme zu einem vereinbarten Rechtsanwalt, der als neutraler "Mediator" bestimmen werde, wer die Geige letztendlich erhalte. "Ein kluges Verfahren" fand der Sohn. Der Auktionator dort war jedoch kein Rechtsanwalt, war schon gar nicht von allen Beteiligten "vereinbart" und war kein Mediator für diese Entscheidung, für die es ja auch keinerlei rechtliche Grundlage gab.

Der Ingenieur weigerte sich energisch, einer Verlosung oder Versteigerung seiner Geige zu zustimmen. Deshalb schickte er auch einen Brief des Auktionshauses an ihn mit "Annahme verweigert" umgehend ungelesen wieder zurück. Damit hatte er aber keineswegs seinen Eigentumsanspruch auf die Geige aufgegeben, wie es der infame Tierarzt dann fluchs interpretierte.

Der gutverdienende Ingenieur kaufte seiner begabten Tochter eine silberne Querflöte und hoffte geduldig auf eine vernünftige Einsicht seiner fehlinformierten Geschwister. Die Einsicht kam dann zwar bei den lieben Schwestern, doch der arglistige Tierarzt wußte das zu verhindern.

Er benutzte die Annahmeverweigerung des Auktionshaus Briefes durch den Ingenieur und verbreitete, der Ingenieur habe die Verbindung mit allen Geschwistern abgebrochen und habe schriftlich auf die Geige verzichtet. Das war beides vom unverschämten Tierarzt erfunden und erlogen, denn der Ingenieur hatte weiterhin normalen Kontakt mit allen anderen Geschwistern und hatte dem Bruder Tierarzt wiederholt geschrieben und seinen Eigentumsanspruch betont und begründet und den angeblichen Verzicht bestritten. Aber der bornierte Tierarzt antwortete einfach nicht mehr auf die Briefe seines Ingenieursbruders.

Wieder blieb so die Meistergeige drei Jahre lang unbespielt, diesmal im Lager des Auktionshauses. Solange bis der Inhaber Angst um sein Geld bekam und die Einlieferin aufforderte, gegen Bezahlung seines Aufwands die Geige, da sie nicht versteigert oder verkauft werden konnte, wieder abzuholen.

Das tat die begehrliche Klavierlehrerin gerne und bezahlte auch alle Lagergebühren, denn dadurch glaubte sie endlich diese Meistergeige, die, was sie sehr wohl wußte, fast das Hundertfache wert war, für ihren Sohn sicher in Besitz zu haben. Dem ahnungslosen Ingenieur wurde natürlich von diesen Vorgängen nichts mitgeteilt, er kam erst viele Jahre später durch seine Recherchen dahinter.

Der dümmliche Tierarzt ließ sich auf diesen faulen Handel bedenkenlos ein, aus dem er, wie er zu seiner abwegigen Rechtfertigung später schrieb, "keinen Gewinn gezogen" habe. In dieser dubiosen Stellungnahme dazu, behauptete der verlogene Tierarzt dann noch, er wüßte nicht, was die Klavierlehrerin mit der Geige gemacht habe und wo diese sich heute befinde. Für den Ingenieur sei die Annahmeverweigerung des Briefs vom Auktionshaus "fatal" gewesen und dieser habe damit selbst die Sache "vermasselt". Dann tat er kund, er wolle "in dieser Sache nicht mehr angesprochen werden", denn dem eitlen Tierarzt war seine Reputation, sein ihm so wichtiges persönliches Ansehen vor anderen in seinem Städtchen, in dem er in mehreren Vereinsvorständen tätig war, wichtiger als die Wahrheit. Aber genau dadurch hatte der kriminelle Tierarzt die Geige unterschlagen und veruntreut, denn sie war ja nie sein Eigentum und auch nie Erbe aller Geschwister und die Familie der Klavierlehrerin hatte daran schon gar keinen rechtmäßigen oder auch nur moralischen Eigentumsanspruch.

Die Meistergeige war und ist das alleinige Eigentum des Ingenieurs, was nun endlich alle Geschwister ihm schriftlich bestätigten, natürlich mit Ausnahme des heuchlerischen Tierarztes. Dieser versicherte, er habe nichts dagegen, wenn der Ingenieur die Geige bekäme, falls sie auffindbar sei, tat aber gleichzeitig alles, um das Auffinden der Geige zu verhindern.

Da um des lieben Familienfriedens willen, die böse Klavierlehrerin war inzwischen verstorben, weiter allgemein verbissenes Verschweigen und diskrete Vertuschung herrschte und der alleingelassene Ingenieur auf seine wiederholten Briefe und Fragen immer noch keine Antworten bekam, vergingen darüber wieder viele Jahre, in denen die Geige von dem gewissenlosen Sohn der Klavierlehrerin, der Professor geworden war, weiter parasitär benutzt wurde. Doch irgendwann wurde es dem frustrierten Ingenieur zu viel des erfolglosen Wartens. Er gab die Hoffnung auf irgendwelche Einsichten auf und erkannte, daß seine Geige nie von alleine wieder zu ihm finden würde. Er begann also gegen den Widerstand einiger Geschwister, die angeblich dadurch den Familienfrieden bewahren wollten und eines obergescheiten Schwagers, der mit dem überheblichen Tierarzt befreundet war, den Weg der Geige systematisch zu erforschen und ihm nach zu gehen.

Aber sogar eine Auskunftsklage seines Ingenieurbruders überstand der nepotistische Tierarzt dank bester Beziehungen zur Gerichtsbarkeit seines Städtchens mit vielen Lügen, angeblichen Erinnerungslücken und behauptetem Vergessen. Das kostete den Ingenieur viel Geld, aber der Weg der Geige kam trotzdem Stück um Stück ans Licht. Die Meistergeige war also damals wieder in die Hände und damit in die Familie der Klavierlehrerin gelangt, die ja keinerlei rechtlichen oder auch nur moralischen Anspruch auf diese Meistergeige hatte.

Der Sohn der Klavierlehrerin, der egoistische Professor, behauptete sogar, ein Rechtsanwalt als Mediator habe eine "kluge" Entscheidung, "wer die Geige letztendlich erhalte", wohl für seine Familie getroffen. Es gab jedoch keinen Rechtsanwalt und es gab und gibt auch keinerlei Rechtsgrundlage für einen "Mediator". Da war nur ein Auktionshändler, der lediglich sein Lagergeld haben wollte und keinerlei sonstige Entscheidungen treffen konnte. Diese Entscheidung, zu der der betrügerische Tierarzt in keiner Weise berechtigt war, was auch die skrupellose Klavierlehrerin sehr wohl wußte, hatte der überhebliche Tierarzt aus eigener Machtherrlichkeit getroffen indem er einfach gar nichts machte ("nicht darüber verfügt" hatte) und der begierigen Klavierlehrerin die Geige einfach bedenkenlos überlies. Aber trotzdem und gerade dadurch war der hinterhältige Tierarzt für den Verbleib der Geige verantwortlich, denn es war ja er, der veranlaßt hatte, daß sie von der Klavierlehrerin in das Auktionshaus gebracht wurde. Später schrieb er großkotzig lügend, er habe die Geige "nie in Händen gehabt, sie nie gesehen und nicht darüber verfügt und keinen Gewinn daraus gezogen". Und, "er wolle in dieser Sache nicht mehr angesprochen werden". Damit hatte der kriminelle Tierarzt die Geige unterschlagen und veruntreut.

Die Familie der frommen Klavierlehrerin nutzte so schon jahrzehntelang unberechtigt die Geige. Die Tatsache, daß man gute Hausmusik macht, ergibt nicht die Berechtigung, eine fremde Geige einfach zu vereinnahmen. Jemand, der aus fremdem Eigentum ohne Gegenleistung Nutzen zieht, den kann man im Wortsinn zu Recht als Parasit bezeichnen.

Der gewissenlose Sohn der Klavierlehrerin, der Professor, versuchte gleich sein Haus gewissermaßen auch zu verbarrikadieren indem er, als der Ingenieur ihn um ein Gespräch bat, das heftig ablehnte und dem Ingenieur umgehend Hausverbot erteilte. Da diese Meistergeige geliehen 20 Jahre und dann noch (unberechtigt!) 30 Jahre in seiner Familie war und von seinem Vater und dann von ihm bespielt wurde, betrachtete er sie wohl inzwischen als sein legales Eigentum, gab aber vorsichtshalber nie direkt zu, daß diese Geige sich bei seiner Familie befindet. Seine Mutter, die besitzgierige Klavierlehrerin, hatte ja auch behauptet, die Geschwister wollten diese Geige ihrem Mann, seinem Vater, schenken. Aber auch das war erfunden und erlogen.

Der zähe Ingenieur schrieb nun an den Professor nacheinander drei die Sachlage und den Werdegang erklärende Briefe mit der Bitte um Herausgabe seiner Geige. Die daraufhin erfolgte Reaktion war ein Brief vom Anwalt des Professors, sein Mandant lehne die Forderung des Ingenieurs ab, sein Mandant habe die Geige seit der Abgabe an das Auktionshaus nicht mehr zu Augen bekommen. Und er drohte mit "rechtlichen Maßnahmen" wegen Unterstellung, falls der Ingenieur weiter davon ausging und behauptete, daß die Geige sich bei seinem Mandanten oder dessen Sohn befände.

Dem Ingenieur blieb nun nichts anderes übrig, als diese ehemals mit der Familie des Ingenieurs und seiner Geschwister befreundete Familie auf die Herausgabe seiner Geige zu verklagen. Dazu benötigte er jedoch einen juristisch schlüssigen Beweis, daß die Geige sich tatsächlich bei der Familie des Sohnes der Klavierlehrerin befindet. Ein absolut logisches Ausschlußverfahren, wie vorgelegt, reiche dazu nicht, sagte sein Anwalt und stieg mit diesem Rat und einer unverschämt hohen Rechnung aus.

Nun blieb dem unnachgiebigen Ingenieur wieder nichts anderes übrig als härtere Maßnahmen an zu gehen. Er zeigte seinen Bruder Tierarzt an wegen Unterschlagung und Veruntreuung seiner Geige. Damit wollte er eine Aussage des vergeßlichen Tierarztes erzwingen, wer die Geige vom Auktionslager abgeholt hat, um dann mit dieser Aussage die Familie des besitzgierigen Professors auf Herausgabe der Geige verklagen zu können.

Der Staatsanwalt aber hat die Klage als aussichtslos eingestellt. Die Beschwerde bei der Generalanwaltschaft brachte leider das gleiche Ergebnis. Für die Juristen ist der Fall nicht interessant genug, es geht für sie ja nur um eine Geige.